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Tresengeschichten


Sommer 2001

Ein großes Bier, Zigaretten, Papier, Stifte und unzählige Gedanken; das alles habe ich auf den Tresen gelegt und fange an, mein Gefühl durch die Musik zu verfolgen. Ob inzwischen Leute gekommen oder gegangen sind, weiß ich nicht. Vielleicht ist es auch schon wieder hell, und der Mann hinter der Bar ist kleiner und dünner geworden, möglicherweise ist es auch eine Frau. Ich weiß, vorhin habe ich mich unterhalten, aber jetzt im Moment bin ich versunken, sozusagen abgetaucht und fliege durch alte und neue Träume. Während die letzte Nacht schon die sechste Synapse passiert, steht das Konzert von morgen noch am Start und wartet auf den Schuß. Irgendwo dazwischen hängt ein kleines Mädchen an einem Baum und lacht. Ich versuche hinterher zu klettern, doch es ist viel zu schnell für mich, verschwindet in der Krone und fliegt mir davon. Jemand spricht mich an; es dauert einen Moment, bis ich ihn erkannt habe. Ob ich ein Taxi brauche, will die Stimme wissen. Nein, das paßt jetzt nicht, ich möchte laufen. Selber fahren sollte ich wohl lieber nicht mehr. Ich zahle und lasse den Rest anschreiben. Morgen bin ich ja ohnehin wieder da. Draußen ist es tatsächlich schon hell. Das geht mir jetzt schon ein bißchen zu weit. In meinem Walkman heult Bonny Prince Billy und mit geschlossenen Augen schleiche ich die Straße hinauf nach Hause. Hinter mir klimpert der müde Kellner mit dem Schlüssel. Der geht jetzt auch nach Hause, weil die Frühschicht ja sowieso in ein paar Stunden wieder aufmacht. Es sind ganz schön viele Leute unterwegs am frühen Morgen. Ob die alle arbeiten gehen? Mir kann’s egal sein. In einer halben Stunde werde ich in mein Bett fallen und mich bis zum Nachmittag keinesfalls irgendwohin bewegen. So viel Zeit muß sein. Und wenn sie nicht ist, muß ich sie mir nehmen. Niemand kann von mir verlangen, den Wecker wahrzunehmen, wenn die Feste gefallen sind. Und wenn sie, so wie im Moment, eher häufig als rar gesät sind, muß man eben eine gute Kondition haben. Nur ausfallen lassen sollte man die Feste nicht. Die schlechten Zeiten kommen ja irgendwann zurück, und dann zählt jede schöne Erinnerung.
Während ich darüber nachdenke, wie lange es noch dauern wird, bis ich mal wieder nicht mehr weiter weiß, nähere ich mich Schritt für Schritt meinem Bett. Ich überlege, ob ich die Zeit nicht besser ausnutzen sollte, solange sie noch schön ist. Schlafen könnte man ja auch ein andermal. Lange brauche ich nicht, um zu entscheiden, daß das Träumen auch Leben ist. Die warme Decke sieht doch sehr überzeugend aus. Mit letzter Kraft streife ich noch die schweren Schuhe von den Füßen, mache den Fernseher an und gebe mich meiner Phantasie hin. Im Traum kehre ich zurück an all die Orte meiner Verbrechen. Im Traum trage ich die Konsequenzen mit mehr Fassung und am Ende ist alles wieder gut. So gegen vier wache ich auf und weine, weil die Realität so einfach nicht funktioniert. Der Fernseher läuft noch. Durch die Tränen sehe ich den Wetterbericht. Es wird regnen morgen. Das ist besser als gar kein Wetter. Gleich wird das Telephon klingeln, da bin ich mir ganz sicher. Meine Mutter wird wissen wollen, wo ich geschlafen habe. Folglich muß ich jetzt aufhören zu weinen. So kann ja kein Mensch ordentlich telephonieren. Ich suche irgendwas Lustiges, irgendeinen beschissenen Film, aber den gibt es nicht. Die Musik aus meiner Anlage hilft auch nicht. Eigentlich weine ich jetzt noch mehr. Das ist gar nicht so schlimm, denn das Telephon klingelt nicht.
Dafür lächelt mir mein Bass entgegen und ich begreife, daß er mir helfen will. Da ich mich nicht ausgezogen habe, muß ich mich jetzt auch nicht erst noch anziehen, obwohl man natürlich auch im Schlafanzug oder nackt Bass spielen kann, zumindest in seiner eigenen Wohnung.
Das E jault und sofort danach das Fis und das G. Oh yeah, stark und furchtlos sollte ich jetzt sein. Und nach dem dritten Mal bin ich es dann auch und gehe doch noch duschen. Sauber fühlt man sich gleich viel besser. Extrem spontan müssen jetzt sämtliche Regeln geändert oder wenigstens gebrochen werden. Mein erster Schachzug ist ein Anruf bei meiner Mutter, die sonst mich anruft. Alles klar, wir treffen uns um acht. Danach, also nach dem Anruf, wird erst mal aufgeräumt. So nach drei Monaten kann man das ja mit ruhigem Gewissen machen, natürlich nur mit Musik. Musik ist wichtig, ohne geht überhaupt nichts. Deswegen gehe ich auch niemals irgendwohin, wo mir die Musik nicht gefällt, dann lieber gar keine. Da fällt mir ein, ich sollte langsam loslaufen. Das Fahrrad habe ich ja stehen lassen heute morgen. Zu Fuß ist man eben ein bißchen langsamer. Aber wir haben ja Zeit, definitiv steht die zeit heute still. Um acht ist nicht wirklich verbindlich, sondern eher ein unbestimmter Zeitraum, der das eigene Erscheinen rechtfertigt. Wenn aber die Regeln sowieso gebrochen werden, wird Rechtfertigung irrelevant und unnötig. Das würde heißen, ich kann kommen und gehen, wie ich es will. Alle anderen machen es doch auch so. Heute treten sie mein Leben und morgen haben wir uns nie gekannt. Vielleicht kann ich das auch mal ausprobieren. Es scheint ganz gut zu funktionieren, ich habe es nur noch nicht versucht. Heute wäre es schon eine gute Möglichkeit, aber wie ich mich kenne, wird es auch diesmal nicht klappen. Obwohl, Mama paßt ja auf, auf das kleine Mädchen. Wie komm’ ich da bloß wieder raus?! Wahrscheinlich überhaupt nicht, und das ist auch gut so. Ein Arschloch wird man von ganz alleine, darum muß man sich nicht auch noch bemühen. Man könnte, kann, tut es vielleicht sogar, aber eigentlich ist das nun mal nicht mein Ding. Ich versteh’ die Welt ja nicht mal, wenn es mir mal aus Versehen passiert. Also lasse ich es wohl auch heute wieder sein. Man wird feststellen, wohin das führt. Viele werden es jetzt wieder besser wissen. Ey, fuck off! Es interessiert mich nicht. Ich bin zu klein für große Erfahrungen und alt genug, um sie selbst zu machen. Nur weil andere vor mir gelitten haben, muß ich es doch trotzdem für mich alleine herausfinden. Ich muß es erleben. Es reicht mir einfach nicht, davon zu hören.
Zurück zum Bier, welches, soeben bestellt, doch tatsächlich schon vor mir steht. Schade, daß meine Sticks zu Hause sind. So’n bißchen Trommeln wäre jetzt `ne schöne Abwechslung. Denken ist ohnehin öde (... und macht unendlich allein). Ich weiß ja nicht mal, warum ich das alles aufschreibe, mein kleines, langweiliges Leben. Wahrscheinlich doch nur, um nicht sterben zu müssen. Müßte ich eigentlich wirklich sterben, wenn ich aufhöre zu schreiben? Ja! Und am Tresen liegen, nein, schweben doch die besten Inspirationen, warum auch immer, this is a must. Probably, I ain’t what you would call a regular guy, but who is? Definitely nobody I know. Yeah, that’s it, I don’t know any regular guys. Everybody is fucked up in some way. That’s just the way it goes. Who really has the right to change the circle of life. I mean we just gotta accept our fate. It’s all we’ve got. Friends don’t really exist. Everybody is his own best friend.

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